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Treffpunkt Wien: Gulasch als Voodooritual

24-09-2017, 06:00

Am frühen Abend  im Café Weidinger: Die Tische im Gürtelkaffeehaus  sind fast alle besetzt. Der Kellner hastet ohne Pause mit Gulasch, mit Bier, mit Spritzern durchs Lokal. Der Hauptraum ist bereits  so Zigarettenrauch-geschwängert, dass man die Luft schneiden könnte. 

An einem der Tische sitzt . Jener Musiker, dessen  Wiener Dialektlieder tragisch-schön und derb-schwarz  von Außenseitern, vom  Hängenbleiben und Versagen erzählen  und die nicht nur die heimischen Charts stürmen, sondern ihm  heuer auch einen Amadeus-Award in der Kategorie „Alternative“ einbrachten.

Der Liedermacher, der  im Dezember mit Pete Doherty in den Gasometern auf der Bühne stehen wird, schiebt  die obligatorische Gulaschsuppe zur Seite, zündet sich eine Zigarette an und  lässt   den Blick durch das Lokal schweifen. Über  die gepolsterten Sitze, die schweren Vorhänge, das Holzmobiliar. „Ich mag die Farbkombination. Das ausgewaschene Blau, das Braun, das Gelb.  Wirkt ein bissl stehen geblieben alles. Genau so, hab’ ich mir letztens überlegt,  stell ich mir  die neue Platte vor." 

Nach dem Album  ist schließlich  vor dem Album. Während er mit seiner ersten Platte „Ansa Woar“ gerade noch auf Tour   ist, gilt es eigentlich schon, an das neue Projekt  zu denken. „Na, sagen wir so“, räumt er ein, „ich hab mal gedanklich ein paar Fässer aufgemacht, um zu schauen, wohin die Reise diesmal gehen könnte. Ich mach mir Notizen, schreibe Floskeln auf, die ich vielleicht verwenden kann.“ Das schwarze Büchlein, in dem er das tut, lugt auch nun  aus der Außentasche seines Jacketts. Die besten Ideen kommen schließlich unterwegs.

Das richtige Arbeiten aber, das Liederschreiben das passiert nie unterwegs oder im Kaffeehaus, das macht er zu Hause. „Bei meiner ersten Platte habe ich mich echt jeden Tag um neun Uhr in der Früh hingesetzt und gearbeitet.“ Ungewöhnlich für einen Künstler? „Ich bin  eigentlich ein großer  Chaot. Grad deshalb versuch ich beim Arbeiten ein bisschen Ordnung reinzubringen.  Ich   hab’  erkannt, dass es dem Liederschreiben guttut, wenn ich   eine gewisse Regelmäßigkeit habe.“

Fast 90 Jahre alt

Regelmäßigkeit bei der Arbeit. Das ist auch Kaffeehauschef Nikolaus Weidinger  ein Begriff.   Kennt er den Gastronomiebetrieb, in dem er arbeitet, doch seit er denken kann.   Gegründet hat ihn sein Großvater, der ebenfalls Nikolaus hieß. Nächstes Jahr wird das 90 Jahre her sein.

Foto: Kurier/Juerg Christandl Nikolaus junior hat das Kaffeehaus dann 2001 von seiner Mutter übernommen. Heute ist es eine Symbiose aus Geschichte und Moderne. Alte Holzvertäfelungen treffen auf neue Sitzbezüge, die historische Kegelbahn oder moderne Kunstausstellungen. Immer noch treffen einander Stammgäste hier zum Tarockspielen. Im Nichtraucherraum  steht ein Billardtisch, der regelmäßig genutzt wird und die Kegelbahn im Keller ist aufgrund des Retro-Trends beliebter denn je.

Apropos beliebt. Das ist Voodoo Jürgens, obwohl seine Texte stark dialektal gefärbt sind, auch bei den deutschen Nachbarn. Die  Konzerte in den nächsten drei Tagen finden in Darmstadt, Erlangen und Dresden statt. Wie er das geschafft hat?

„Darüber zerbrech’ ich mir gar nicht den Kopf“, meint er und zuckt mit den Schultern. „Ich  hab mir auch nicht gedacht, dass das Album ein Erfolg werden wird. Natürlich freut es einen sehr, wenn es dann so ist. Aber im Vorhinein davon auszugehen, ist doch hochnäsig.“

Er nimmt einen Schluck Bier und fährt dann  fort: „Außerdem macht man  Musik ja aus einer Leidenschaft heraus. Wenn ich es wegen des Geldes machen würd,  dann würd’ die Platte wohl ganz anders klingen.“

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