Die Österreichische Ärztekammer warnt angesichts dramatisch langer Wartezeiten und steigender psychiatrischer Notfälle vor einer Versorgungslücke in der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie und fordert gezielte Investitionen sowie besser integrierte Versorgungsstrukturen.
Eine Woche nach dem Amoklauf in Graz mit zehn Todesopfern warnt die Österreichische Ärztekammer (ÖÄK) vor einer dramatischen Unterversorgung in der Kinder-, Jugend- und Erwachsenenpsychiatrie. "Wir haben einen enormen Handlungsbedarf", erklärte Kammerpräsident Johannes Steinhart am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Wien. Die Ärztekammer fordert mehr Ausbildungsplätze, bessere Rahmenbedingungen und gezielte Investitionen in Prävention und Versorgung.
Lange Wartezeiten, steigende Notfälle
Laut einer Wartezeitenstudie der Wiener Ärztekammer lag die mediane Wartezeit für einen Termin in der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Vorjahr bei 90 Tagen – der höchste Wert unter allen Fachrichtungen. Zudem erklärten 40 Prozent der Ordinationen, keine neuen Patienten mehr aufzunehmen. Auch in der Erwachsenenpsychiatrie betrug die Wartezeit 37 Tage, 20 Prozent der Ordinationen waren ausgelastet.
Klinikvorstand Paul Plener von der MedUni Wien berichtete, dass die Zahl akuter psychiatrischer Notfälle bei Kindern und Jugendlichen seit 2020 um 80 Prozent gestiegen sei – von 1.000 auf 1.800 Fälle. "Ein Rückgang nach der Pandemie ist nicht erkennbar", betonte Plener.
Engpass bei Fachärzten droht
Dietmar Bayer, stellvertretender Obmann der Kurie niedergelassener Ärzte, warnte zudem vor einer bevorstehenden Pensionierungswelle: In den kommenden fünf Jahren erreichen 24 Prozent der Kinderpsychiater und 37 Prozent der Erwachsenenpsychiater das Pensionsalter. Schon jetzt sind elf Prozent der Kinderpsychiater und 21 Prozent der Erwachsenenpsychiater über 65 Jahre alt. „Wir haben bereits fünf nach zwölf“, so Bayer.
Vernetzung, Integration und Prävention
Als konkrete Maßnahmen fordert die Ärztekammer den Ausbau von Ausbildungsstellen, die Integration kinderpsychiatrischer Versorgung in bestehende Primärversorgungseinheiten sowie den Aufbau regionaler Versorgungsnetzwerke mit ambulanten, tagesklinischen und stationären Angeboten.
Auch die psychosoziale Prävention müsse gestärkt werden – etwa durch Aufklärung in Schulen, verpflichtende Schulungen für Lehrkräfte und niederschwellige Angebote wie Online-Psychotherapie. „Die Investition in Prävention ist wirksamer als Metalldetektoren und Sicherheitspersonal“, sagte Plener mit Blick auf die jüngste Gewalttat in Graz.