Die Wiener Berufsrettung plant, in Zukunft häufiger Opfer von Stich- oder Schussverletzungen direkt vor Ort am offenen Herzen zu behandeln.
Dieses Konzept der Mini-OPs am offenen Herzen basiert auf der sogenannten "Clamshell-Thorakotomie". Dabei wird bei Patientinnen und Patienten, die einen Kreislaufstillstand erlitten haben, der Brustkorb eröffnet, um lebensgefährliche Verletzungen provisorisch zu behandeln, erklärte Chefarzt Mario Krammel in einem Hintergrundgespräch.
Wiener Berufsrettung bei Mini-OPs am offenen Herzen österreichweit Vorreiter
Die an das "Aufklappen einer Muschelschale" angelehnte Methode gilt in Österreich noch als relativ jung, hat jedoch unter anderem im Rettungswesen in London oder Berlin Schule gemacht. "Wir haben das vor zehn Jahren in Berlin gesehen und uns überlegt, wie wir diese Ausbildung nach Wien bringen können", sagte Notarzt Krammel, einer der Ideengeber bei der Berufsrettung. Nun sei man soweit, "Clamshell-Thorakotomien" könnten mittlerweile in der ganzen Hauptstadt bei Bedarf erfolgen. 100 Notärztinnen und Notärzte sowie 80 Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter wurden bisher ausgebildet, weitere sollen folgen. Die Berufsrettung sei damit österreichweit Vorreiter. "Wir wagen uns damit an ein Feld, das bisher in der präklinischen Versorgung nicht in dieser Form verbreitet war", ergänzte ein Sprecher. Durchgeführt wird eine solche Behandlung immer nur von erfahrenen Notärztinnen und Notärzten. Das Personal aus dem Sanitätsbereich assistiert dabei.
Mini-OPs am offenen Herzen für Chefarzt "absolute Notfallmaßnahme, sind keine Chirurgen"
Maßgebliche Indikationen für den Einsatz einer solchen Behandlung seien lebensbedrohliche Schuss- oder Stichverletzungen am Herz, der Lunge oder an anderen großen Gefäßen in Verbindung mit einem Herzkreislaufstillstand. Doch auch bei Patientinnen und Patienten mit "Pfählungsverletzungen wie bei einem Arbeitsunfall auf einer Baustelle" sei eine "Clamshell-Thorakotomie" ein möglicher Anwendungsfall. Konkret erfolgt für den Eingriff ein waagrechter Schnitt zwischen den Rippen. Im zweiten Schritt geschieht die behelfsmäßige Versorgung der inneren Verletzungen - unter anderem durch eine interne Herzdruckmassage genauso wie durch Nähte. Dafür nehmen die Ärztinnen und Ärzte der Berufsrettung selbst Nadel und Garn in die Hand, wobei Krammel bewusst um Abgrenzung bemüht war: "Wir sind keine Chirurginnen und Chirurgen." Mit der flächendeckenden Einführung des Eingriffs solle kein Konkurrenzdenken geschürt werden. "Das, was wir hier machen, ist wirklich eine absolute Notfallmaßnahme im Rahmen der Wiederbelebung, wenn das Herz aufgehört hat zu schlagen." Denn oft seien Sekunden über Leben oder Tod eines Patienten entscheidend, erklärte Krammel der APA.
Überlebensrate bei Mini-OPs am offenen Herzen bei 35 Prozent
Erfahrungen aus der Vergangenheit im Rettungswesen hätten gezeigt, dass vor allem akuter Blutverlust, ein Lungenkollaps, Sauerstoffmangel oder eine Blutansammlung im Herzbeutel zu einem - oft letztlich tödlichen - Kreislaufstillstand geführt hätten. "Und da bringt halt die Herzmassage und der Defibrillator nichts. Wir können unseren Patienten nicht anders helfen - außer mit dieser Notfallmaßnahme, um sie dann schnellstmöglich ins Krankenhaus zu bringen", so Krammel. "Sie hätten ansonsten keine Überlebenschance." Er verwies in diesem Zusammenhang auf Studien zur Überlebensrate nach einer "Clamshell-Thorakotomie" in Folge eines Kreislaufstillstands aufgrund einer Herzverletzung. Demnach blieben 35 Prozent der Behandelten aufgrund einer solchen Behandlung am Leben. 2022 sei es darum nach jahrelangen Überlegungen schließlich zum Beginn eines Ausbildungsprojekts für die "Clamshell-Thorakotomie" gekommen.
Im Jänner 2023 musste die Berufsrettung zum ersten Mal auf die neue Maßnahme zurückgreifen. Ein 60-Jähriger hatte damals in der Kienmayergasse in Penzing lautstark mit einer Schusswaffe an der Tür seines Nachbarn geklopft. Nach einem darauffolgenden Schusswechsel mit der Polizei wurde der Mann von Cobra-Beamten erschossen und verstarb letztlich trotz erfolgter Notfallbehandlung. Insgesamt seien 2023 drei Einsätze mit Clamshell-Thorakotomie gezählt worden. 2024 erfolgten Behandlungen an fünf Personen. Zwei davon überlebten ihre Verletzungen, zuletzt eine junge zweifache Mutter im August 2024 in Wien-Penzing nach lebensgefährlichen Stichverletzungen. "Und genau darum machen wir das."